Wer versteht was unter Naturismus?

  • Als Neuling hier habe ich auch in älteren Threads geschmökert und bin dabei immer wieder auf Unsicherheiten über die Abgrenzung der Begriffe FKK, Nudismus und Naturismus gestoßen. Offizielle Definitionen dieser Begriffe gibt es vermutlich nicht, zumindest sind sie mir nicht bekannt. Deshalb will ich sie einfach von ihrem ursprünglichen Wortsinn her erklären, dabei aber den Schwerpunkt ganz klar auf den Naturismus legen:
    Das Kürzel FKK für Freikörperkultur ist vor allem historisch zu verstehen und wird in letzter Zeit, vor allem auch im Internet für alles Mögliche missbraucht. Das hat dazu geführt, dass ich es aus meinem aktiven Wortschatz weitgehend gestrichen habe. Nur, wo ich es zitiere, oder, wo ich davon ausgehen kann, dass die Kommunikation dadurch wirklich abgekürzt werden kann, will ich es noch verwenden. Solange die Inhalte unserer Beiträge Missverständnisse ausschließen, kann ich auch ertragen, dass unser Forentitel dieses Kürzel enthält.
    Wenden wir uns zunächst dem Oberbegriff Nudismus zu: er ist, zumindest wenn man ihn wörtlich versteht, klar umrissen: Ein Nudist ist ein Mensch, der lieber nackt als angezogen ist. Über seine Motive ist damit noch nichts gesagt. Mit ihnen dürfte es sich so Verhalten, wie bei der Typisierung der menschlichen Charaktere: Jeder hat von allem etwas. Der Unterschied liegt nur in der individuellen Gewichtung der Motive. Auch hier gibt es, zumindest in einigen Fällen, eine Schwelle zum Krankhaften (z.B. Exhibitionismus). Ich will nun nicht versuchen, die verschiedenen Motive aufzuzählen, sondern nur ein sehr wichtiges Motiv erwähnen, das sicher bei den meisten eine Rolle spielt: das Gefühl der Freiheit. Das Motiv, um das es mir in diesem Beitrag geht ist die Natürlichkeit oder Naturverbundenheit. Die Betonung dieses Motives nennt man wohl Naturismus. Die Naturisten sind also eine Teilmenge der Nudisten.
    Damit hört aber die Klarheit leider auf, denn was "nackt" ist, ist in unserer Gesellschaft relativ unbestritten, unter Natürlichkeit, Naturverbundenheit, Bekenntnis zur Natur oder Einklang mit der Natur dagegen versteht jeder etwas anderes.
    Obwohl ich mir damit sicher nicht nur Freunde mache (Der Vorwurf lautet: Menschen in Schubladen stecken), will ich versuchen einige Gruppen von Naturisten aufzuzeigen. Dabei erhebe ich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit; es liegt an Euch, die Liste zu ergänzen!

    • Da sind zunächst die Statusnaturisten: Damit meine ich die, die ihren Drang zur Nacktheit damit begründen, dass der nackte Zustand des Menschen natürlicher ist als der bekleidete. Auch die Körperbewussten und Nacktsportler dürften hierher gehören.
    • Dann gibt es unter den Naturisten die Asketen: Damit meine ich die, die auf bestimmte Errungenschaften bzw. Irrwege der Zivilisation bewusst verzichten. Dabei entscheidet jeder für sich selber, was er für eine Errungenschaft und was für einen Irrweg hält. Beispiele sind Alkohol, Fleisch. Handy, ...
    • Wie ich die dritte Gruppe nennen soll, weiß ich nicht so recht. Ich nenne sie einmal die Emotionalen: Damit meine ich die, für die es beglückend ist, Natur (Landschaften, Landschaftsdetails, aber auch Gärten, Pflanzen, Tiere, ...) zu erleben. Dieses Glück wird gesteigert, wenn sie selbst Teil der Natur sind, weil sie durch kein Kleidungsstück von ihr getrennt sind. Diese Glücksquelle wollen sie natürlich auch erhalten und wenn es gut geht, engagieren sie sich deshalb im Natur- und/oder Umweltschutz.
    • Auch die Naturreligiösen gehören hierher. Von ihnen hat jeder sein persönliches Sammelsurium an Naturreligionsfacetten. Das beginnt bei Formulierungen wie "Die Natur, die uns hervorgebracht hat" und endet noch lange nicht bei dem Aberglauben an einen sog. Magnetismus oder dem Kristallfetischismus.
    • Schließlich gibt es auch Christen unter den Naturisten. Für sie ist die Natur die Schöpfung Gottes und sich selbst verstehen sie als Teil von ihr, als Geschöpfe Gottes, wie er sich uns in der Bibel mitgeteilt hat. Deshalb sehen sie alles unter einem anderen Gesichtspunkt: Die Nacktheit wird geadelt als der Zustand, in dem Gott sie schuf; die Askese schenkt ihnen Offenheit für die Beziehung zu Gott (Das heißt nicht, dass Asketen allein dadurch schon die besseren Christen sind, oder gar, dass Askese notwendigerweise zum Christsein gehört.); die Beglückung durch Naturerlebnisse nehmen sie dankbar aus Gottes Hand. Wie wissen sich aber auch in der Verantwortung vor Gott für den Erhalt der Schöpfung. Der sog. Schöpfungsauftrag ist für sie Verpflichtung zu Naturwissenschaft und Umweltschutz.


    Wer einer dieser Gruppen angehört, ist auf seine Art Naturist. Man kann aber auch mehreren dieser Gruppen gleichzeitig angehören. Nur die Schnittmenge der vorletzten und letzten Gruppe ist leer. Ihr habt sicher schon an der Formulierung gemerkt, wo mein Herz schlägt.

  • erst einmal möchten wir anerkennen, wie sehr du dich um seriöse inhalte hier im forum bemühst.


    eine definition der kultur, die von freien und unbekleideten menschen getragen und entwickelt wird, kann ebenfalls manchmal nützlich sein.
    wir anerkennen gerne, dass du diese geistige arbeit auf dich genommen hast, obwohl es schon gültige begriffsklärungen zu naturismus, fkk und nudismus gibt.


    doch ist nicht jede de-fini (-tion) eine eingrenzung, zugleich ausgrenzung. damit eine festlegung?
    Selbst wenn wir finis, die grenze, als einen kontakt- und übertrittsbereich verstehen?


    de finibus: auch "über das ende", z.b. de finibus bonorum atque malorum.
    in der lateinischen sprachwurzel der heutigen "definition" steckt zugleich "grenze", "ende", "überwindung im sinne von darüber hinaus schauen" und "grenzen übertreten", aber auch "orientierung".
    also nicht bloß "ein- und ausgrenzung".
    mit dieser haltung dürfen wir auch "naturismus" gerne selbst begreifen und leben.
    "natur" ist ja nicht etwas, das außerhalb unser selbst stattfindet oder liegt, wir verstehen uns - hoffentlich zutreffend - als einen bestandteil all dessen, was natur ausmacht.


    hier in wien verwendet man für die "beckmesserische" variante, eben der schlichten ein- und ausgrenzung, gerne den begriff "schubladisierung":
    schublade auf - rein damit - schublade zu. (Sixtus Beckmesser, bei Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg)
    verschärft: "mit dieser schublade will ich nichts mehr zu tun haben".
    weiter verschärft: "mit dieser schublade dürft auch ihr euch nicht mehr abgeben".
    von innen betrachtet: hoffnungslos - "wer ein mal in so einer schublade steckt, kommt nie wieder heraus", weil sich jeder aufrechte schubladisierer weigert, dieselbe auch nur anzusehen, geschweige denn neuerlich zu öffnen.


    wer sich auf diese art sicher fühlt, möge das tun, der beipackzettel jeder schublade weist aber ganz deutlich auf die angedeuteten, möglichen, unerwünschten nebenwirkungen hin.


    wir zum beispiel möchten gerne "fkk" weiter verwenden dürfen, ohne etwa "nudismus" als einen ober- oder überbegriff mit anerkennen zu müssen oder ständig von "nackt baden", "nackt leben", "nackt diskutieren", "grundsätzlich lieber nackt als angezogen sein"... abgrenzen zu müssen.
    das wärer ebenso mühsam wie patschert (ungeschickt und hoffnungslos).
    wer der porno- und pädo-industrie so weit nachkommt, auf eigene begriffe zu verzichten, bloß weil diese leute sie annektiert haben, leistet dem vorschub, möchte ich provokant schreiben, denn nur die richtige verwendung eines begriffes stellt dessen berechtigung und bedeutung klar bzw. wieder her.


    theoretisch könnte ja jeder beliebige begriff ebenfalls in falsche hände geraten und dann missbraucht werden.


    wer also eine regel aufstellt, wonach bestimmte begriffe nicht mehr zu verwenden sind, bloß weil sie von anderen missbraucht werden, verheddert sich selber in dieser bedingung. wer "liebe" nicht mehr in den mund nimmt, bloß weil andere sie ab- und ausgezuzelt haben, ist um eine ganze welt ärmer.


    was, wenn die porno-industrie auch "nudismus", "naturismus", "natur" als hülsen für pornografische angebote entdecken wollte? (de facto geschieht das ja schon! gib nur in suchmaschinen "natur" ein und du kommst fast direkt auf "natur-sekt".)
    dürften wir uns nun also etwa auch nicht mehr naturisten, nudisten, nackte, freie menschen nennen?


    deine richtlinie, die du uns vorschlägst und für bzw. auf dich anwendest, kann de facto zu einer ungewollten einschränkung deiner eigenen handlungsfreiheit werden - du begibst dich begrifflich in abhängigkeit von anderen, die du aber nicht steuern kannst.


    deine ansicht teilen wir aber, dass inhalte die bezeichnung de facto richtig oder falsch positionieren können.


    zu dem problem habe ich ein anderes beispiel:


    kürzlich fand in wien eine dichterlesung statt, in der ein kollege seinen gast, eine schriftstellerin, ausführlich vorstellte und mehrmals auf deren frühere psychische erkrankung hinwies, mit der anmerkung: sie hat es großartig geschafft, ihren weg zu gehen. wir dürfen erkennen, dass psychisch kranke menschen auch großartige literatur schaffen können. sie müssen aber die heute präsentierten werke immer unter dem aspekt sehen, dass es sich hier um psychisches leiden handelt. ich darf zitieren (...) und schon war die protagonistin auf der psychiatrie mit der autorin gleich gesetzt:


    sie müssen das so denken. na bumm.
    die autorin ist übrigens seit mehr als 20 jahren geheilt und konnte diese "sachubladisierung" dadurch entkräften, dass sie sich schlicht gesund präsentierte, basta. bloß war den unbedarften leuten im publikum trotzdem ein "floh ins ohr" gesetzt, ihre perspektive hatte sich verändert. es ging nicht um die gelesenen werke, sondern darum, diese werke in einem bestimmten kontext zu verstehen. ganz nach dem hinterhältigen muster, das paul watzlawick einmal so witzig beschrieb: "denke jetzt nicht an eine banane".


    nachher sagte ich ihr das bild, das ich die ganze zeit hatte - und sie hat herztlich gelacht:
    ein psychiatrie-professor, umgeben von 50 andächtigen medizinstudenten, der an einem krankenbatt dozierte, ohne zu bemerken, dass dieses längst leer war.


    dieser vorgang hat mir grundsätzlich zu denken gegeben.
    er enthält etwas, an das man im hinblick auf schubladen in der regel nicht denkt:
    die begriffliche fesselung: stigmatisierung.

    birgit und ich treten also grundsätzlich und auch bei dieser gelegenheit dafür ein, dass niemand - bewusst oder unbewusst - in eine gedankliche oder sonstwie kunstvoll gelegte fessel geraten soll. ganz besonders nicht unter nackten mitmenschen, schon gar nicht per definitionem.

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  • Ich denke die Schubladisierung muß man nicht zu ernst nehmen. Man kann sie gebrauchen, um Aspekte hervorzuheben, ohne irgendjemanden in eine Schublade zu zwingen. Ich würde mich am ehesten der 3. Gruppe (Natur erleben) zuordnen, auch wenn ich FKK-Hallenbäder besuche, die etwas eingeschränkt dazu passen (Das Element Wasser so am Körper zu spüren ist natürlich grundsätzlich Nuturerlebnis). Deshalb bevorzuge ich auch den Begriff "Naturismus" (ein Sportler würde vielleicht "FKK" bevorzugen).
    Die letzte Gruppe (Christen) erkenne ich eigendlich so weder als eine noch als eigenständige Schublade an.
    :: Die paradiesische Naturnähe entspricht der dritten Gruppe.
    :: Offenheit in der Beziehung zu Gott ist etwas neues, dass ich eher in die Nähe menschlicher Beziehungen im Naturismus setzen würde (gelegentlich eher im Sinne einer Parallele, nicht unbedingt als einer Zugehörigkeit zur selben Gruppe - erinnert sei hier auch an den Tod des Franz von Assisi. Ich glaube nicht, dass seine Nacktheit in der Todesstunde wirklich in der Askese begründet war, wie es viele Minderbrüder mißverstanden haben, sonder eben, dass er eine besondere Gottesnähe darin empfunden hat) - dieser Aspekt ist mir sehr wichtig (oder besser diese beiden Aspekte: Zwischenmenschliche Beziehung und Gottesbeziehung).
    :: Ein weiterer Aspekt ist die Askese, dem ich wohl eher im Mangel an Sinn für ordentliche Kleidung nahe stehe.
    Diese Aspekte sind alle wichtig, um den Naturismus zu verstehen. Natürlich sollte sich niemand in eine Schublade sperren lassen, aber jeder wird seine Prioritäten haben.

    FKK (ist) die Kunst, Adam und Eva zu spielen, ohne an den Sündenfall zu denken.(Bartnik & Sartin)

    https://www.sun-witten.de/

    3 Mal editiert, zuletzt von Georg N ()

  • So, nach heterogenen Computernetzen und Elektroautos (und Weihnachten) komme ich jetzt endlich wieder zu unserem eigentlichen Thema und will etwas auf die Verständlichkeit bzw. das Missverständnispotential des Begriffes Freikörperkultur bzw. FKK eingehen:
    Dabei muss ich zugeben, dass ich ihn eigentlich nie so recht mochte, obwohl ich mich nach den damals noch eindeutigen Inhalten gesehnt habe, weil ich nicht durfte und auch keine Gelegenheit hatte, es trotzdem zu tun. Dabei hatte ich natürlich nichts gegen Freiheit oder freie Körper. Aber ich hatte damals, in meiner gymnasialen Sturm- und Drangphase, noch einen sehr einseitigen Kulturbegriff. Zu dem, was ich damals unter Kultur verstand, konnte man FKK nun wirklich nicht zählen. Deshalb war mir der Begriff suspekt, und ich hielt ihn für eine Tarnung, eine Schutzbezeichnung, die man vorschob, weil es nicht opportun war, und man deshalb nicht den Mut hatte, die Dinge beim Namen zu nennen. Kurzum, ich hielt ihn einfach für verklemmt und konnte deshalb nicht warm mit ihm werden.
    Inzwischen weiß ich natürlich, dass Kultur weit mehr bedeutet, als ich damals meinte, und dass das Wort in diesem Zusammenhang durchaus angebracht ist. Auch ist mir inzwischen klar, dass durch die Bezeichnung "frei" u.a auch die Verbindung zur Arbeiterbewegung zum Ausdruck kommt. Wenn mir das früher bewusst geworden wäre, hätte ich vielleicht meine Aversionen leichter abbauen können.
    Genährt wurden diese und mein Anfangsverdacht allerdings durch den falschen Gebrauch (ich bin noch nicht beim Missbrauch) des Kürzels: man hört und liest immer wieder Formulierungen wie "dort sind wir FKK" oder "wir machten uns schon einmal FKK" oder "da kann man FKK schwimmen". Die Verwendung von FKK als Synonym für nackt ist nicht nur syntaktisch und semantisch einfach falsch, sondern vor allem verklemmt. Kürzer ist es übrigens auch nicht, sondern es soll einfach nur das böse Wort vermieden werden.
    Deshalb fiel es mir auch leicht, mich von dem Begriff bis auf Ausnahmen zu trennen, als dann in den letzten Jahren der im Threadstart schon erwähnte Missbrauch hinzukam.
    Euere Warnung, liebe smoothies, davor, Begriffe, die auch missbraucht werden, garnicht mehr zu benützen, ist sehr beherzigenswert und Euer Beispiel von der Liebe ist ja nicht aus der Luft gegriffen, sondern schon viel länger Realität. Man denke nur an den Nonsensbegriff "käufliche Liebe".
    Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass die beiden Begriffe FKK und Liebe doch sehr unterschiedlich in unserer Gesellschaft etabliert sind. Es gibt schon noch ein Grundwissen oder zumindest eine Ahnung davon, was Liebe wirklich ist. Auf die verschiedenen Bedeutungsfacetten dieses Wortes möchte ich hier jetzt nicht eingehen (Das klassische Griechisch diffenziert da viel stärker).
    Ganz anders ist es mit FKK: Für die große Mehrheit hat - zum größten Teil aus Unwissenheit - dieser Begriff und alles, was dazugehört, schon immer in die Schmuddelecke gehört. Deshalb konnte sich der Missbrauch auch so leicht durchsetzen. Die wenigsten sahen da einen Bruch, sondern nur eine Bestätigung dessen, "was sie ja schon immer gewusst haben". "Endlich zeigen sie ihr wahres Gesicht!" Eine Differenzierung in der breiten Öffentlichkeit ist nicht zu erwarten, zumal da Naturismus zur Zeit nicht "in" ist. Deshalb will ich das leider missverständliche Kürzel FKK meiden.

  • käuflich ist fast alles - und damit verbunden die illusion, dass das bezahlte auch echt sei.

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